Wenn Kriege ausbrechen, sind Frauen in besonderem Maße von Gewalt, Armut und Flucht betroffen. Zudem beschränken in Krisenregionen oft geschlechtsspezifische Normen ihren Zugang zu Bildung und wirtschaftlichen Ressourcen, was sie von Entscheidungsprozessen ausschließt. Die Organisation Women for Women International unterstützte bisher mehr als eine halbe Million Frauen dabei, ihre Stimmen zu erheben, ihr Potenzial zu nutzen und ihre Rechte einzufordern. Ein Gespräch mit der Vorstandsvorsitzenden Deutschland Preeti Malkani über Bildung für Frauen als der Schlüssel zu einer gerechteren Welt.
Von Tamara Gajić
Viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich, wie Sie in ihrem Herzensprojekt, und möchten anderen Menschen helfen. Wie sind Sie zu Ihrer Rolle gekommen?
Ich habe mir damals am Flughafen eine Zeitschrift gekauft und las dann im Flieger einen Artikel über zwei Frauen aus Nigeria und Afghanistan, die ihre von Kriegen und Konflikten durchzogene Lebensgeschichten erzählten. Traumatische Erlebnisse, die wir nur schwer nachempfinden können. Sie berichteten, wie sie ihr ganzes Leben umgekrempelt haben und dadurch zu neuer Stärke finden konnten. Sie lernten, ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften, ihre Kinder zur Schule zu schicken, Essen auf den Tisch zu bringen und sich in gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu involvieren. Und das hat mich so fasziniert, weshalb ich mich unbedingt bei dieser Organisation engagieren wollte. Ich war überrascht, dass ich vorher noch nie von Women For Women International gehört hatte. Und auf einmal war ich Gründerin der deutschen Dependance.
Women For Women ist eine Nichtregierungsorganisation. Was war eigentlich die Ursprungsidee?
Die amerikanische Gründerin Zainab Salbi flüchtete damals als Teenagerin aus dem Irak. Ihr Vater war der Pilot von Saddam Hussein und als der Diktator anfing, sich unmissverständlich für seine damals erst fünfzehnjährige Tochter zu interessieren, brachte der Vater sie in einer Nacht- und Nebelaktion in die USA. Sie wollte auf Frauen in Krisengebieten aufmerksam machen, deshalb reiste sie ein paar Jahre später nach Bosnien, um über die Vergewaltigungslager während des Jugoslawienkrieges zu schreiben. Dort lernte sie unzählige traumatisierte Frauen kennen, die aufgrund schwerwiegender sexualisierter Übergriffe und Kriegstraumata nach wie vor mit ihren Kindern am Rande der Gesellschaft leben. Keiner hat sich um diese Frauen gekümmert und keiner wollte irgendwas davon hören, es wurde absolut totgeschwiegen. Als Oprah Winfrey davon erfuhr, lud sie Zainab Salbi in ihre Talk-Show ein. Das war die Initialzündung, eine groß angelegte Idee umzusetzen – nämlich Frauen aus Kriegs- und Krisengebieten zu unterstützen. Wir glauben fest daran, dass ein langfristiger Frieden auf der ganzen Welt nur durch die Investition in Frauen möglich ist, weil sie eine essenzielle Rolle in unserer Gesellschaft spielen. Nicht ohne Grund wird Vergewaltigung als Kriegswaffe genutzt, weil man dadurch eine Gesellschaft in ihren Grundfesten demoralisiert.
Woher nehmen Sie die psychische Kraft, sich mit diesen emotional nahegehenden Schicksalen auseinanderzusetzen?
Ich bin in zahlreiche Länder gereist, habe mit vielen Frauen gesprochen und konnte mir selbst ein Bild von den positiven Effekten unserer Arbeit machen. Nach jeder Reise bin ich noch inspirierter zurückgekehrt und habe einfach diesen tiefen Wunsch entwickelt, möglichst viele Menschen auf dieses Thema aufmerksam zu machen, weil wir damit wirklich Leben verändern. Und ich sage immer, wir können vielleicht nicht die ganze Welt verändern, aber wir können die Welt eines anderen Menschen verändern.
Wie kann man sich die praktische Umsetzung vorstellen? Was sind die ersten Schritte, damit Sie überhaupt etwas vor Ort erreichen können?
Wir arbeiten mit Teams zusammen, die aus den jeweiligen Ländern kommen. Es werden immer 25 Frauen in eine Klasse zusammengebracht, wo sie ein Jahr lang unser Schulungsprogramm besuchen. Mittlerweile sind wir in 14 von Konflikt betroffenen Ländern tätig. In unserem einjährigen holistischen Schulungsprogramm erlernen die Frauen einen Beruf, um ihr eigenes Einkommen zu generieren, erfahren mehr über ihre Rechte, erlangen Zugang zur Wirtschaft und sind Teil gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse. Unser Ziel ist es, möglichst viele Frauen und ihre Familien auf dem Weg in ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben zu unterstützen, weshalb wir langfristig in den Gemeinden tätig sind.
Wie ist ein solches Schulungsprogramm aufgebaut?
Wir haben die Schulungen in vier Module aufgeteilt. Im ersten Modul werden die Frauen über ihre Rechte im jeweiligen Land aufgeklärt. Viele dieser Frauen wissen gar nicht, dass sie beispielsweise als Witwe in ihrer Hütte weiterhin wohnen dürfen, ohne den alten Onkel des verstorbenen Mannes heiraten zu müssen. Sie haben das juristische Recht, Land besitzen zu dürfen. In einigen Ländern wie zum Beispiel im Irak, Libanon oder Syrien werden Frauen noch immer genital verstümmelt, obwohl es gesetzlich verboten ist. Viele wissen davon nichts, weshalb wir da proaktiv Aufklärung betreiben.
Frauen in den genannten Ländern werden auch bildungspolitisch benachteiligt, um sie von ihren Männern abhängig zu machen.
Und genau aus diesem Grund behandeln wir zum Beispiel auch Themen wie Verhütung, Ernährung und Hygiene. Außerdem unterstützen wir die Frauen beim Erlernen von subjektiven Fähigkeiten. Was können sie machen, um sich selbstständig einen Unterhalt zu verdienen? Dabei bedienen wir die komplette Bandbreite und gehen auf die persönlichen Vorstellungen ein. Das kann etwas Landwirtschaftliches sein oder auch eine Ausbildung zur Friseurin. Oder wie in Ruanda, dort haben wir interessierten Frauen beigebracht, wie man Joghurt produziert. Das Grundprinzip bleibt gleich: Es geht immer um Hilfe zur Selbsthilfe. Die Frauen bekommen im Laufe ihrer Ausbildung eine finanzielle Unterstützung, sodass sie sich während der Schulung keine Sorgen machen müssen. Und im vierten und letzten Modul geht es um das Gemeinschaftsgefühl. Die Teilnehmerinnen erfahren, dass sie nicht allein mit ihren Problemen sind. Die anderen Frauen haben Ähnliches durchlebt, aber was sie alle verbindet, ist der Glaube an ihre gemeinsame Stärke. Sie wissen, zusammen können wir etwas bewegen.
Warum fokussiert sich Ihre Organisation so klar und deutlich ausschließlich auf die Förderung von Frauen?
Es gibt viele Studien, die belegen, je gleichberechtigter Frauen behandelt werden, desto größer ist die Chance auf Frieden. Wo Frauen besonders schlecht behandelt werden, ist die Wahrscheinlichkeit von Konflikten, Kriegen und Armut am größten. Aus diesem Grund müssen wir die Stellung der Frau gerade in Krisengebieten stärken und das geht aus unserer Sicht nur über eine ökonomische Unabhängigkeit. Wenn man wirtschaftlich nicht ernst genommen wird, hat man auch keine Stimme. Unsere Arbeit ist holistisch angelegt, weshalb wir auch Männer in unsere Arbeit miteinbeziehen. Unser Men’s Engagement Programm klärt die Väter, Ehemänner und Partner der Frauen über die Wichtigkeit von Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung auf und gewinnt damit ihre Unterstützung für eine stärkere wirtschaftliche Teilhabe von Frauen.
Was war denn für Sie bei Ihrer Arbeit der emotionalste Moment?
Als ich im Irak war, lud uns eine Irakerin zu sich nach Hause ein. Die Frau erzählte uns, dass ihr Mann eines Tages von der Polizei abgeholt worden ist, ohne zu wissen, was er eigentlich verbrochen hat. Da stand sie plötzlich allein mit drei Kindern da, ohne Einkommen, um die Familie zu unterstützen. Sie war so verzweifelt, dass sie sich eigentlich das Leben nehmen wollte. Sie erfuhr von unserem Programm und lernte, wie man eine Nähmaschine bedient. Inzwischen versorgt sie ihr ganzes Dorf mit Kleidung und ist dadurch in der Lage, ihre Kinder zu ernähren und ihnen eine Schulausbildung zu bieten. Und wissen Sie was? Sie hat damit auch anderen Frauen eine Perspektive eröffnet, denn sie gibt ihr Wissen und Können jetzt weiter.
Wenn man unabhängig von den Traumata auch die Unwägbarkeiten vor Ort betrachtet, scheint es ein großer Schritt für diese Frauen zu sein. Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass Ihr Engagement auch etwas Nachhaltiges ist?
Wir würden gern viel mehr Frauen unser Programm ermöglichen, aber leider sind unsere finanziellen Mittel begrenzt. Dadurch haben wir ein spezifisches Auswahlverfahren, weil wir natürlich sichergehen wollen, dass die Frauen ihre Ambitionen später wirklich umsetzen. Das Wissen, was einem mitgegeben wurde, kann einem niemand mehr nehmen. Wir bauen nicht irgendetwas auf, was dann zerstört werden kann, sondern investieren in Menschen und das bleibt für immer. Man darf nicht unterschätzen, welche unbändige Kraft die Hoffnung hat.
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